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Kaninchen

Der Anteil der Kaninchen sowie auch anderer Heimtiere hat am Praxisklientel in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Gleichzeitig ist auch der Anspruch der Tierhalter an die Tierärzteschaft hinsichtlich einer kompetenten Beratung und einer auf die jeweilige Tierart abgestimmten fachlich versierten Diagnostik und Therapie entsprechend gestiegen. Um diese - in der Regel im Rahmen des Tiermedizinstudiums nicht vermittelten – in der Praxis zunehmend geforderten und somit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, werden im Folgenden praxisrelevante anatomische, physiologische, Haltungs- und Fütterungsgrundlagen sowie die Propädeutik des Kaninchens dargestellt.

1. Einleitung

Die Domestikation des Kaninchens lässt sich bis in die Römerzeit zurückverfolgen, wo in sog. "Leporarien" gefangene Wildkaninchen gehalten wurden, ohne Zuchtauswahl und in reiner Gehegehaltung, d.h. es gab lediglich eine Vermehrung von Wildkaninchen in Gefangenschaft. Die eigentliche „Haustierwerdung“ geschah um 1000 n.Chr., als in französischen Klöstern von Mönchen eine Zuchtauswahl nach Zahmheit und Anpassungsvermögen getroffen wurde. In Deutschland sind Kaninchen erstmals 1149 n. Chr. erwähnt und im 16. Jahrhundert wurden Kaninchen hier bereits in vielen verschiedenen Farben gezüchtet. Heutzutage gibt es über 70 Kaninchenrassestandards mit über 300 Farbschlägen (weitere Informationen siehe www.kleintiere-schweiz.ch und www.ktzv-dietikon.ch).

Die Stellung der Kaninchen in der zoologischen Systematik heute:

- Klasse: Mammalia (Säugetiere)
Unterklasse Plazentatiere
Ordnung: Rodentia = Nagetiere
Einfachzähner (Eichhörnchen, Mäuse, Murmeltiere, Biber)
Ordnung: Lagomorpha = Hasenartige
Doppelzähner
Familie Leporidae
Gattung: Lepus europaeus (Feldhase)
Gattung: Lepus timidus (Schneehase)
Gattung: Oryctolagus cuniculus (europ. Wildkaninchen)

Tab 1: Unterscheidungsmerkmale zwischen Kaninchen und Hasen

2. Praxisrelevante anatomische und physiologische Besonderheiten des Kaninchens

• Verdauungssystem

Zähne:

2I 0C 3PM 3M (OK)
1I 0C 2PM 3M (UK)

Milchgebiss:

2I 0C 3pm (OK)
1I 0C 2pm (UK)
Die Prämolaren-Milchzähne werden in den ersten 18 Lebenstagen durch bleibende Prämolaren ersetzt, gleichzeitig stoßen die permanenten Molaren allmählich durch das Zahnfleisch durch, so dass Kaninchen ab dem 27. bis 35. Lebenstag (= Absetzalter) ein komplettes, permanentes Gebiss aufweisen.

Alle Zähne des Kaninchens sind wurzeloffene Zähne, die lebenslang permanent ca. 1 cm pro Monat wachsen, und zwar im Unterkiefer schneller als im Oberkiefer. Die Schneidezähne weisen nur auf der Vorderseite einen Schmelzbelag auf, wodurch sich ihre meißelähnliche Form und Schärfe ergibt. An der labialen Seite der oberen Schneidezähne befindet sich physiologisch eine Längsfurche im Schmelz. Im Oberkiefer befinden sich zusätzlich zu den 1. Schneidezähnen (I1) an deren palatinaler Seite Stiftzähne (I2), die den davor liegenden Schneidezähnen möglicherweise zusätzlich Halt geben

Praxisrelevante Aspekte:

Eine regelmäßige Abnutzung der Zähne steht physiologischerweise im Gleichgewicht mit einem dauerhaften Zahnwachstum. Wenn dieses Gleichgewicht gestört ist, kommt es zu unzureichender Zahnabnutzung und infolge dessen zu Zahnüberlängen. Eine ausreichende Zahnabnutzung ist nur gewährleistet, wenn dem Kaninchen eine sehr rohfaserreiche Fütterung gewährleistet wird, die ein intensives Mahlen der Backenzähne notwendig macht, d.h. Heu oder Gras ist Grundfutter, das durch abwechslungsreiches Frischfutter wie Blätter, Kräuter, Leguminosen und Obst ergänzt werden kann.
Zwischen erworbenen und angeborenen Zahnfehlstellungen ist zu unterscheiden. Erstere entstehen durch chronische Fehlfütterungen, letztere bestehen seit Geburt und beruhen auf einer angeborenen Fehlstellung der Zähne oder des Kiefers.
Der Abbruch von Schneidezähnen wird durch das Nachwachsen innerhalb von ca. 6 Wochen ausgeglichen. Die Wachstumsrate der Zähne beträgt pro Jahr ca. 10 cm, d.h. bis zu 1 cm pro Monat! Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt mit dem Alter zu. Die Kauflächen der Backenzähne weisen Schmelzlinsen auf (nicht hingegen die Backenzähne echter Nager, die Ribbelmarken, Höcker oder Schmelzprismen aufweisen). Die untere Backenzahnreihe ist schmaler als die obere.


Das Kiefergelenk besteht aus der Gelenkpfanne des Oberkiefers in Form einer Längsrinne, in der der walzenförmige Fortsatz des Unterkiefers längs gelagert ist. Aufgrund der Form des Gelenkes, der Zahnstellung sowie des beiderseitigen Verschiebens des Unterkiefers ergibt sich eine seitliche Bewegung des Kiefergelenkes, wodurch immer nur ein einseitiges Kauen möglich ist.

Mundhöhle:

Zerkleinerung, Einspeicheln, Kauen, Abbeiß- bzw. Aufnahmebewegungen, abgebissene Teile (Stängel, Halme, Blätter) werden mit der Zunge gedreht und der Länge nach den Backenzähnen zugeführt; einseitiges Kauen
Kauzahl = 3.5 - 5 pro Sek. = Saugbewegung der Jungtiere
Speicheldrüsen: Ohrspeicheldrüse, Unterkieferdrüse, Unterzungendrüse,
Ptyalin im Speichel (Stärkespaltung)
Raphe = Hasenscharte = physiologisch gespaltene Oberlippe

• Verdauungskanal

Die Gesamtlänge des Magen-Darm-Traktes entspricht der 10-fachen Körperlänge des Tieres (= ca. 4 bis 6,5 m). Die Durchgangsgeschwindigkeit der Nahrung beträgt ca. 5 cm/h, d.h. > 1m/d, d.h. die physiologische Darmpassage benötigt etwa 5 Tage.

Praxisrelevante Aspekte:

Bei Röntgenkontrastuntersuchungen mit Bariumsulfat kann die Passage durch den gesamten Magen-Darm-Trakt durchaus fünf Tage dauern!

Magen:

einhöhlig, sehr dünne Magenwand aufgrund einer geringfügig ausgebildeten Tunica muscularis - kein Erbrechen möglich!
zunächst schichtweise Einlagerung der Nahrung:
- obere Schichten: Speicheldiastase zur Fortsetzung der Verdauung
- untere Schichten: 1. HCL führt zum pH-Abfall: antibakakterielle und antivirale Wirkung; 2. Pepsin: Eiweißspaltung;
- nur in Pylorusregion glatte Muskulatur deutlich ausgebildet.
Kaninchen fressen häufig und in kleinen Mengen bis ca. 80 mal am Tag!

Praxisrelevante Aspekte:

Der Weitertransport des Mageninhaltes ist nur durch erneute Futteraufnahme und Nachschub möglich. Folglich kann auch keine Ausnüchterung des Kaninchens erfolgen, d.h. der Versuch des Ausnüchterns vor einer OP ist unmöglich und deshalb sinnlos!
Ein Ausnüchtern ist nicht nur unnötig , da das Kaninchen nicht erbrechen und deshalb auch nicht Futter aspirieren kann, sondern ein Nahrungsentzug führt zur Ketose, die eine ungünstige Stoffwechselsituation verursacht und insofern ein erhöhtes Narkoserisiko bedeutet.
Bei zu großen Fütterungsabständen können sich die Tiere überfressen, d.h. es besteht die Gefahr der Magenüberladung mit Ruptur der Magenwand.
Das einmal aufgenommene Futter muss den Darmkanal passieren und kann nicht zum Zwecke der Erleichterung erbrochen werden.


Dünndarm - ohne besondere tierartspezifische Besonderheiten

Dickdarm Caecum, Colon, Rektum

Caecum:

bakterielle Verdauungsprozesse durch grampositive Bakterien (Laktobazillen), Aufschluss von Zellulose, FFS = 20 - 30 % der Energiegewinnung für das Kaninchen, teilweise Ausscheidung mit dem Weichkot, charakteristischer Geruch, bakterielle Proteine, B-Vitamine, Vitamin K

Caecotrophie = Aufnahme von Blinddarmkot (= Weichkot); Anteil dieses nährstoffreichen Kotes > 30 % vom Gesamtkot = von Schleim überzogene, trauben- bis wurst-artige, glänzende Gebilde; Weichkot passiert die weiteren Abschnitte des Kolons weitgehend unverändert, wird direkt vom Enddarm abgenommen und unzerkaut abgeschluckt ("Putzbewegung"); Blinddarmkot verweilt im Magenfundus bis zu 6 h, besteht aus Bakterien, Mukoproteinen und Vitaminen und bleibt durch Schleimhülle lange erhalten. Die im Kot enthaltenen Bakterien sind durch die bakteriellen Enzyme weiterhin wirksam; anschließend erfolgt intestinal eine Auflösung der Schleimhülle mit nachfolgender Bakterienverdauung, Auflösung und Resorption.

Praxisrelevante Aspekte:


Blinddarm und Anfangsteile des Kolons sind beim Kaninchen große Gärkammern mit einer entsprechend großen Mikroflora. Eine länger andauernde Antibiose hat folglich große Konsequenzen in Bezug auf die bakterielle Synthese essentieller Metaboliten sowie auf die Zelluloseverdauung.

Harnapparat

Nieren:

einwarzig glatt, rechts mehr kranial als links, bohnenförmig
starke Trübungen des Harns = Kristallbildung durch Ca-Carbonate und
Ammonium-Mg-Phosphate oder Ca-Carbonat-Monohydrat (selten)

Praxisrelevante Aspekte:

Auf Röntgenbildern sind häufig mineraldichte Verschattungen in der Harnblase zu sehen: Diese sind meist physiologisch, in seltenen Fällen können jedoch auch Steine diagnostiziert werden – Palpation!

Geschlechtsorgane (männlich)

Testes:

in beidseitig angelegten Hodentaschen liegend - kein Hodensack,
niedrigere Temperaturen als in der Körperhöhle, hier 35 - 36 °C.
Hoden können mittels M. cremaster in die Bauchhöhle eingezogen werden,
Spermaportion: 200 - 300 Millionen Spermien; Verdünnung 20-fach möglich,
in Praxis meist 5 bis 10-fach üblich
Kryptorchismus = selten = Ausschluss von der Zucht

Glandulae genitales accessoriae:

Prostata
Glandulae vesiculares
Glandulae bulbourethrales

Penis mit Schwellkörper, keine Glans penis

Praxisrelevante Aspekte:

Die Kastration männlicher Kaninchen ist sinnvoll und tierschutzgerecht, wenn mehrere Böcke zusammen gehalten werden sollen. Unkastrierte Böcke zusammen zu halten ist hingegen nicht tierschutzgerecht, da diese die Tendenz aufzeigen, sich gegenseitig zu verletzen bzw. zu kas-trieren.
Einzeln gehaltene Böcke, die Aggressionen gegenüber Menschen zeigen, können ebenfalls kastriert werden, da Testosteron das Aggressionsverhalten des männlichen Tieres deutlich beeinflusst. Ebenso wird auch das Revier- und Markierverhalten durch Testosteron gesteuert, so dass ein in der Wohnung gehaltenes kastriertes Kaninchen diese Verhaltensweisen weniger aufweist. Es ist anzuraten, diesen Eingriff frühestmöglich durchzuführen, da ein jahrelang übliches Verhalten nicht allein durch die Kastration zu ändern ist. Kaninchen können ab dem vollendeten 2. Lebensmonat unter Narkose kastriert werden. Ab drei Monaten ist das Kaninchen geschlechtsreif - kann also Geschwister, Mutter etc. decken!
Nach der Kastration ist das männliche Kaninchen noch bis zu 6 Wochen zeugungsfähig!


Geschlechtsorgane (Weiblich)

Ovarien:

ca. 1 – 1,5 cm große, bohnenförmige Gebilde mit unebener Oberfläche bedingt durch Follikel aller Reifungsstadien; Spontanovulation; Follikelatresie; quasi zu jeder Zeit reife Follikel, deshalb zu jeder Zeit befruchtungsfähig!

Uterus duplex:

Uterus dexter resp. sinister
Cervix dextra resp. sinistra mit rechter und linker Portio vaginalis!
Im Bereich der Vagina Verschmelzung des rechten und linken Genitale zu einer Vagina simplex.

Kein regelmäßiger Zyklus, Spontanovulation; Trächtigkeitsdauer 31 bis 33 Tage; am Tag der Geburt wieder aufnahmebereit, dann erst wieder optimal am 9. Tag post partum
CAVE: Paarhaltung!
Superfoetation = während einer Trächtigkeit werden erneut Follikel reif, können befruchtet werden und entwickeln sich dem Befruchtungszeitpunkt entsprechend zeitlich versetzt - beim Hauskaninchen unüblich, kann aber vorkommen!!!

Praxisrelevante Aspekte:

Beim Kaiserschnitt müssen die Uterusseiten einzeln geöffnet werden!!!

Mammae:

6 - 10 Milchdrüsenkomplexe über Brust- und Bauchregionen verteilt
kontinuierliche Milchbildung in Drüsenzellen --> Abfluss in Milchgänge --> faltige Zitzenzisternen der Zitze
pro Saugwarze 5 bis 6 Öffnungen
in der Regel 10 symmetrisch angeordnete Drüsenkomplexe
bei 1. Trächtigkeit Größenzuwachs um ca. 75 % zwischen 16. und 26. Trächtigkeitstag
zwischen 5. und 15. Tag post partum starke Zunahme der Mammae (Hochlaktationsphase)

Praxisrelevante Aspekte:

Das Verhalten weiblicher Tiere ist durch die Geschlechtshormone nicht so ausgeprägt bestimmt wie dasjenige beim männlichen Tier. Ein vernünftiger Grund für eine Kastration des weiblichen Kaninchens ist deshalb nur eine medizinische Indikation, wie z.B. Eierstockzysten, Endometriose, Hämometra, Pyometra, Ovar- bzw. Uterustumoren.

• Haut und Haare

Haartypen:

Primärfollikel: Deckhaare
Grannenhaare (O 40 - 100 µm)
Leithaare
Stichelhaar (z.B. helle Großsilber)

Sekundärfollikel = später gebildet:

Wollhaare (  10 - 16 µm), 20 - 40 pro 1 Deckhhaar
Tasthaare an Oberlippe, Kinn und Augenbrauen, Tastnerven enden an Haarwurzeln, schmerzempfindlich!

Cave:

1. große Lufthaltigkeit der Markschicht der Haare bedingt gute Isolierung und Flauschigkeit des Fells

2. beim Angorakaninchen:

a) kaum jahreszeitlich bedingter Haarwechsel
b) schnelleres Wachstum des Felles als bei anderen Kaninchenrassen, nämlich 0.5 - 0.8 mm/Tag;
c) geringerer Grannenanteil von nur 2 - 3 %

Praxisrelevante Aspekte:

Kaninchen bilden – vergleichbar mit Katzen – ein sehr dichtes Winterfell, wenn sie ausschließlich im Freien gehalten werden. Sie werden im Regen nicht nass, da das Regenwasser oberflächlich am Haarkleid abperlt und nicht die Haut erreicht. Folglich frieren sie nicht. Besonders Kindern muss verdeutlicht werden, dass Kaninchen aus Freilandhaltung im Winter nicht stundenweise zum Handling in geheizte Räume verbracht werden sollen, sonst droht „Klimaschock“.

Hautdrüsenorgane = 3 Duftdrüsenkomplexe:

* Kinndrüsen (Submandibulardrüsen):
besonders bei Rammlern gut entwickelt (Reviermarkierung)

* Leistendrüsen (Inguinaldrüsen):
bei männlichen und weiblichen Kaninchen in den haarlosen Hauttaschen rechts und links in der Inguinalregion liegend, ca. 1,5 cm lange Drüsen von weiß-gelblicher Farbe, strenger Geruch des Drüsensekretes, dienen dem gegenseitigen Erkennen (Individualmarkierung)

* Analdrüsen:
1 bis 3 cm große, traubenartige solide Drüsen mit Ausführungsgängen, die in den Enddarm münden und mittels ihres Sekretes die Kotperlen überziehen (Individualmarkierung).

• Sinnesorgane (Siehe auch Sinne)

Kaninchen werden nackt, blind (geschlossene Lidspalten) und taub (geschlossene Ohrspalten) geboren (Nesthocker); bereits gut entwickelt sind Tast- und Geruchssinn - wichtig für Saugkaninchen (Pheromone); adulte Tiere haben ein schlechtes Seh-, jedoch ein sehr gutes Hör- und Geruchsvermögen

• Herz und Kreislauf

- rel. Herzgewicht 0.22 - 0.24 % der Körpermasse beim adulten Tier
- Pulsfrequenz 120 - 150 / Min. in Ruhe
- rel. Blutvolumen ca. 7 % der KM
- abs. Blutvolumen bei Trächtigkeit erhöht, nicht jedoch das rel. Blutvolumen
- große Kreislaufbelastung gegen Ende der Trächtigkeit wegen gleichzeitig starker Durchblutung der Plazenten und der Milchdrüsen

Praxisrelevante Aspekte:

Kaninchen werden nicht selten in der Kleintiersprechstunde oder im Notdienst mit Herzkreislaufversagen vorgestellt. Eine Röntgenaufnahme zeigt häufig neben einer Adipositas ein ausgeprägtes Lungenödem, Pleuraerguss und/oder Aszites. Analog zu Hunden und Katzen können auch bei Kaninchen und Meerschweinchen sonografisch dilatative oder hypertrophe Kardiomyopathien festgestellt werden.

• Atmungsapparat

- Atmung nur über schlitzförmige Nasenöffnungen möglich
- Atemfrequenz 50 - 150 / Min. in Ruhe
- Funktion: äußere Atmung = Gasaustausch
Thermoregulation (zusammen mit Ohren)

innere Körpertemperatur: 38,5 – 40,0 °C


3. tiergerechte Haltung und Fütterung

Kaninchen sind gesellige Tiere, die naturgemäß in Familienverbänden leben. Daraus ergibt sich, dass eine Einzeltierhaltung per se nicht artgerecht ist. Viele Verhaltensweisen des Kaninchens sind auf das Zusammenleben in der Familie ausgerichtet. Soziale Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern ergeben sich teils aus angeborenen Verhaltensweisen, teils aus individuellen Erfahrungen und Lernprozessen, die erst allmählich zu Verhaltensnormen heranreifen.

Prinzipiell ist die Kaninchenhaltung nicht einfach!!!
Bewährt hat sich die Paarhaltung gleichgeschlechtlicher weiblicher oder kastrierter männlicher Kaninchen (adulte Rammler dürfen wegen der Verletzungsgefahr nicht zusammengehalten werden!) oder die Paarhaltung mit einem unkastrierten weiblichen und einem kastrierten männlichen Tier. Von einer Einzeltierhaltung ist grundsätzlich abzuraten, ebenso von einer Vergesellschaftung mit Meerschweinchen. Die gemeinsame Haltung mit Kaninchen geschieht meist zu Ungunsten der Meerschweinchen, da sich die Kaninchen häufig sehr dominant und aggressiv gegenüber den Meerschweinchen verhalten. Allein aus dem innerartlich sehr unterschiedlichen Sozialverhalten von Meerschweinchen und Kaninchen wird deutlich, dass diese Tierarten im Prinzip wenig aufeinander abgestimmt sind. Meerschweinchen werden meist durch das dominante Verhalten der Kaninchen dauerhaft unterdrückt.
Gruppenhaltung kann ebenfalls empfohlen werden, wobei sich unter wissenschaftlichen Aspekten Gruppen mit bis zu 16 Tieren bewährt haben. Darüber hinaus zerfällt die Großgruppe wiederum in kleine Untergruppen.
Als Heimtiere werden Kaninchen häufig paarweise gehalten, wobei die reine Käfighaltung in der Regel viel zu wenig Raum für Bewegung bietet. Ohne regelmäßigen zusätzlichen Auslauf erleiden die Tiere eine Knochengewebshypoplasie, wodurch das Frakturrisiko stark erhöht wird. Ideal ist sowohl des Auslaufs als auch der Frischluft wegen eine Außenhaltung, die den Tieren ganzjährig eine ausreichende Fläche für die arteigenen Hoppelsprünge zulässt. Die im Winter kühle Luft ist allemal verträglicher als die Heizungsluft in unseren Wohnungen, von der die Schleimhäute des Atmungstraktes stark gereizt werden können. Kaninchen haben eine breite Thermoneutralzone, so dass sie auch in unseren Breiten ganzjährig draußen gehalten werden können. Wichtig ist dabei, dass ihnen sowohl in der warmen Jahreszeit ein Unterschlupf zur Verfügung steht als Schutz vor übermäßiger Sonne als auch ein zugfreier Unterschlupf im Winter, der zudem mit Stroh zur Wärmeisolierung versehen sein sollte. Tendenziell erleiden Kaninchen und Meerschweinchen unter entsprechend ungünstigen Haltungsbedingungen häufiger einen Hitzschlag bei sehr hohen Temperaturen im Sommer (> 25 °C) als dass sie unter Erfrierungen leiden müssten.
Kaninchen haben einen sehr ausgeprägten Hörsinn (16 bis 33.000 Hz), was bei der Auswahl des Käfigstandortes Berücksichtigung finden sollte. Sie haben aus diesem Grunde in Räumen mit Radios und Fernsehern ebenso wenig gute Lebensbedingungen wie in schlecht gelüfteten und oftmals im Winter überheizten (Kinder-)Zimmern.
Bei der Auswahl der Einstreu hat sich in jüngster Zeit die Pelleteinstreu auf Strohbasis sehr bewährt, die saugstark ist und nur sehr wenig Staub entwickelt. Aus diesem Blickwinkel sollten Sägemehl und Hobelspäne als Einstreu für obsolet erachtet werden. Hobelspäne sind immer ein Abfallprodukt der Holz verarbeitenden Industrie, deren Herkunft in der Regel unbekannt ist und die unter Verwendung von Imprägnierfarben und weiteren Chemikalien bearbeitet wurden.
Die Fütterung sollte unter den besonderen ernährungsphysiologischen Aspekten bei Kaninchen überwiegend aus grob strukturierter Rohfaser, d.h. Heu und/oder Gras bestehen – alternativ in der warmen Jahreszeit Haltung auf der Wiese und somit Grasaufnahme.
Der Blinddarm ist bei Kaninchen eine relativ große Gärkammer. Die Darmflora besteht überwiegend aus Anaerobiern und grampositiven Bakterien (Kokken, Laktobazillen), wohingegen E. coli und Cl. perfringens nur passager vorkommen. Eine hohe Anzahl der zuletzt genannten Keime ist immer als Dysbakteriose zu werten und meist durch Fütterungsfehler bedingt. Die spezielle Bakterienflora (vor allem Laktobazillen) ist in der Lage, Zellulose aufzuspalten, wodurch freie Fettsäuren entstehen, die resorbiert werden können und dem Kaninchen als Energie zur Verfügung stehen. Damit diese physiologische Darmflora funktioniert, bedarf es eines deutlich basischen Darm-ph-Wertes. Bei der Gabe rohfaserreicher Futtermittel ist dieser gewährleistet, bei der Verfütterung von Zucker- und stärkereichen Futtermitteln sinkt der ph-Wert von zwischen 8 und 9 auf zwischen 5 und 6 ab. Die Folge ist ein Absterben der physiologischen Darmflora und ein Überwuchern mit unerwünschten Keimen wie E. coli, die normalerweise nur in geringen Keimzahlen den Darm passieren.
Außerdem wird in diesem Darmabschnitt ein sogenannter Blinddarmkot, die Caecotrophe, gebildet. Dabei handelt es sich um schleimüberzogene, trauben- bis wurstförmige, glänzende Gebilde. Dieser spezielle Weichkot, dessen Anteil am Gesamtkot bei über 30 % liegt, passiert die weiteren Abschnitte des Dickdarms weitgehend unverändert, wird von den Tieren direkt vom Enddarm abgenommen und unzerkaut geschluckt, was meist als "Putzbewegung" zu beobachten ist. Blinddarmkot besteht aus Bakterien, Mukoproteinen und Vitaminen, verweilt bis zu 6 Stunden im Magen und bleibt durch die Schleimhülle lange erhalten. Die in der Caecotrophe enthaltenen Bakterien sind durch ihre bakteriellen Enzyme so lange wirksam, bis sie durch die Salzsäure des Magens inaktiviert werden. Anschließend erfolgt im Magen und Dünndarm eine Auflösung der Schleimhülle mit nachfolgender Verdauung. Auf diese Weise sind Kaninchen in der Lage, aus zellulosereichen Futtermitteln – die keinerlei sonstige Inhaltsstoffe wie Proteine, Fette, Kohlenhydrate oder Vitamine beinhalten müssen – alle für sie essentiellen Nährstoffe selbst zu synthetisieren.

Eine artgerechte Fütterung besteht aus stets verfügbarem Heu und/oder Gras als Grundfutter und kann durch abwechslungsreiches Frischfutter (Blätter, Kräuter, Gemüse, Obst) ergänzt werden.

Körnerfutter (Weizen, Roggen, Hafer und Haferflocken, Mais und Maisprodukte sowie Reis und Reisprodukte – Puffreis!) ist stärkereiches, zellulosearmes Futter und entspricht nicht dem ernährungsphysiologischen Bedarf dieser Tierart. Getreide, Mais und Reis sind auf den Weltmärkten billige Futtermittel, die ansehnlich zubereitet und attraktiv verpackt als Futter für Kaninchen und Meerschweinchen von der Futtermittelindustrie angeboten werden. Ob in Fertigpackungen oder nach Art großer „Bonbonnieren“, aus denen sich der Verbraucher die Einzelkomponenten selbst zusammenstellen kann, ist es ein leicht zu handhabendes Futtermittel, das von Kaninchen leicht akzeptiert wird und wenig Schmutz bei der Fütterung hinterlässt. Kaninchen sind mit sehr effizienten Kompensationsmechanismen ausgestattet, mit denen zellulosehaltige Partikel aus dem Dickdarm retrograd ins Caecum zurück transportiert werden können. Auf diese Weise kann diese viel zu energiereiche Stärkefütterung zwar zunächst - äußerlich betrachtet - unbeschadet ausgeglichen werden, die Folgen werden jedoch mit der Zeit offensichtlich:

- Bei der Futteraufnahme werden Körner mit den Zähnen zerquetscht und nicht lange genug mit den Backenzähnen gemahlen, so dass der Zahnabrieb ungenügend ist und überlange Zähne entstehen. Folge: die Tiere entwickeln in die Zunge oder in die Backenschleimhaut einspießende Zahnspitzen, die bedingt durch die Schmerzhaftigkeit die Nahrungsaufnahme erschweren oder gar verhindern, was vom Tierhalter häufig nicht unmittelbar bemerkt wird.

- Tiere mit chronischen Durchfällen, die mit kotverschmiertem Fell im Anogenitalbereich gekennzeichnet sind.

- Trommelsucht der Kaninchen als Folge von Fehlgärungen im Blinddarm: die Stärke wird zu Zucker abgebaut und dieser wird durch Hefen, welche mit dem Frischfutter aufgenommen werden, vergoren. In der Folge bilden sich Gase, die nicht entweichen können, so dass der Darm aufbläht, die Darmwände gestaut werden und die Tiere hochgradige Bauchschmerzen und Kreislaufprobleme erleiden – vergleichbar mit jenen bei der Magendrehung des Hundes!

- Übergewichtige Tiere, die mit der Zeit bewegungsunlustig werden.

- Fliegenbefall in der Sommerzeit mit Ablage von Fliegeneiern in die Haut der Tiere und Entwicklung von Fliegenmaden, die in kurzer Zeit große Hautschäden verursachen.

CAVE:

Snacks für Kaninchen und Meerschweinchen beinhalten gemäß der Packungsdeklarationen Zucker, Mehl, Maiskleie, Hartbiscuit, Zuckerrohrmelasse, Bäckerei-Nebenerzeugnisse, ausgesuchte Getreidearten, wertvolle aufgepoppte Getreidesorten, Saaten, gehackte Nüsse, Honig, pflanzliche Nebenerzeugnisse, tierisches Eiweiß, tierische Nebenerzeugnisse, frische Eier, Milch- und Molkereierzeugnisse, Joghurtpulver ... und sind deshalb nicht artgerecht!!!

4. Propädeutik

• Handling des Kaninchens

Entnahme aus dem Transportkäfig durch Nackengriff und unterstützenden Griff unter das Hinterteil des Tieres.

Fixierung des Tieres auf dem Untersuchungstisch: so wenig wie möglich fixieren! Bei sehr wehrhaften Tieren Nacken- und Lendengriff. Bitte Kaninchen niemals an den Ohren festhalten!!!

Fixierung des Kaninchens in Rückenlage auf den Oberschenkeln des Untersuchers durch Nacken- und Lendengriff und schnelles Drehen auf den Rücken: Das Kaninchen fällt in eine Art „Totenstarre“, die wir für die weitere Untersuchung nutzen können.

• Untersuchung des Kaninchens

* Allgemeine Untersuchung: Augen, Ohren, Nase, Mundhöhle inkl. Zähne, Haut – bes. Kinn, Wamme -, Pfoten, Anogenitalregion, Abdomenpalpation

* Geschlechtsbestimmung: kranial und kaudal der Anogenitalöffnung die Haut stramm ziehen, woraufhin sich ein Penis ausstülpt oder eine Vulva sich schlitzförmig darstellt – auch beim Absetzer im Alter von 4 Wochen deutlich sichtbar!!!

• Probengewinnung beim Kaninchen


Kotuntersuchung:

Die parasitologische Kotuntersuchung an frisch entnommenem Kot ist beim Kaninchen ein wichtiges und einfaches Hilfsmittel, das auch mit wenig Aufwand in der Praxis durchgeführt werden kann (Objektträger, NaCl, Deckgläschen, Mikroskop) zur schnellen Erkennung von Kokzidienoozysten, Pilzsporen (Saccharomyces) sowie Wurmeiern.
Wurmeier lassen sich sicherer durch Anreicherungsverfahren (Flotation, Sedimentation) nachweisen. Beim Kaninchen können folgende Würmer vorkommen:

- Trematoden: (F. hepatica und F. dendriticum) bei Verfütterung von Gras bzw. Heu von Schaf- und Rinderweiden

- Nematoden: Magenwurm (Graphidium strigosum) Strongyloides-Arten Trichostrongylus retortaeformis Oxyuriden (Pfriemenschwänze) wie Passalurus ambiguus Trichuriden (Peitschenwürmer) wie T. leporis

- Zestoden: Taenien-Arten (Cittotaenia denticulata und ctenoides) können bis zu 1 m lang werden! Finnen in Netz oder Gekröse sind meist Cysticercus pisiformis (= Finne des Hundebandwurms T. pisiformis)

Symptome der Wurmerkrankungen: Diarrhöen, Abmagerungen und Apathie bes. bei Jungtieren, Obstipationen, Trommelsucht, Ödeme, Anämie, Kachexie

Therapie:

Kokzidiose: Davosin(R) 1 ml/kg KM oral
Nococcin(R), Baycox(R),

Trematoden: Flukiver(R) 5 mg/kg s.c.

Nematoden: Fenbendazol 5 mg/kg KM
Febantel 10 mg/kg KM
Levamisol 8 mg/kg KM
Thiabendazol 2 x 250 – 500 mg/kg KM

Zestoden: Praziquantel 10 mg/kg KM s.c.

Die bakteriologische Kotuntersuchung ist aufwendiger in der Durchführung und bedarf eines Untersuchungslabors. Sie ist indiziert bei Durchfallerkrankungen mit Verdacht auf eine Infektion mit Salmonellen (S. typhimurium und enteritidis), Kolibakterien, Cl. perfringens.

Therapie:

Antibiose nach Antibiogramm
Breitbandantibiotika: Chloramphenicol 50 mg/kg KM s.c./d
Enrofloxacin 10 mg/kg KM s.c./d
Oxytetracyclin 20 mg/kg KM s.c./d
Gentamycin 6 – 8 mg/kg KM s.c./d

Bakteriologische Untersuchungen

(Tupferprobe, Sektionsmaterial) sind indiziert bei Einzel-tier- oder Bestandserkrankungen, besonders mit dem Verdacht auf eine Infektion mit:

Diplococcus pneumoniae
Pasteurella multocida
Bordetella bronchiseptica

Mycoplasmen
Hämophilusarten
Staphylokokkus aureus
Streptokokkenarten
E. coli
Treponema cuniculi


Therapie:

Antibiose nach Antibiogramm
Autovakzine

Harnuntersuchung:

Gewinnung von Spontanharn durch Ausdrücken der Blase, Punktion einer vollen Blase perkutan oder Katheterisierung (Katerkatheter)
pathologisch: Ketonkörper
physiologisch: Rotfärbung des Urins durch Porphyrine (z.B. nach Löwenzahnfütterung)
physiologisch in kleiner Menge: Eiweiß, Zucker, Epithelzellen, Leukozyten, physiologisch in großer Menge Kristalle

Blutuntersuchung:

Gewinnung einer Blutprobe durch Punktion der V. saphena lateralis mit Hilfe einer Kanüle (hellgrün) der Größe 21G x 1“, 0,8 x 25. (Die Normalwerte der Blut- bzw. Serumparameter sind in Tabelle 2 dargestellt.)
Eine hämatologische Untersuchung ist angebracht bei Verdacht auf: Erkrankungen der Leber
Erkrankungen der Nieren
Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus
Enzephalitozoonose (Nosematose)
Toxoplasmose

Tab 2: Normalwerte der Blut- bzw. Serumparameter beim Kaninchen